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Feuer

Wildkraut-Storys #1: Gundermann


Ich brauchte ein bisschen, um mich für das erste Wildkraut in der Wildkraut-Storys-Reihe meines Blogs zu entscheiden. Hätte ich auf mein Bauchgefühl gehört, hätte das die Sache beschleunigt. Denn eigentlich wusste ich sofort, dass es nur die eine Pflanze sein konnte:


Gundermann! ...oder wie wir ihn in der Familie nennen: Gundermännchen!


Gundermann (Glechoma hederacea) kennt man unter vielen Namen. Gundelrebe und Erdefeu hört man gelegentlich. Auf Englisch spricht man von ground-ivy, creeping charlie, gill-over-the-ground oder ale hoof. Was uns letztere Namen über die Geschichte vom Gundermann verraten, werden wir gleich sehen.


Warum habe ich also Gundermann gewählt?

Gundermann hat alles, was eine gute Geschichte braucht. Er (...oder sie?) hat einen markanten, starken und wuchtigen Charakter, ist super aromatisch. Wenn man zu viel Gundermann für Speisen kombiniert, haut es einen um. Gundermann ist sehr widerstandsfähig, auch im Winter grün und eine starke Heilpflanze. Aber der Reihe nach. Erstmal ein paar Basics:


Beschreibung


Gundermann ist in Europa und Asien beheimatet und weit verbreitet. Auch nach Nordamerika ist er gewandert und gilt dort als Neophyt. Überall im Verbreitungsgebiet stellt Gundermann wenig Ansprüche an den Boden auf dem er wächst, auch wenn nährstoffreiche Erde bevorzugt wird. Waldränder, feuchtere Stellen und Gärten gehören zu den Hotspots, wo man ihn findet. Als krautige, kriechende Pflanze können regelrechte "Teppiche" gebildet werden. Im Frühjahr und Sommer richtet sich die Sprossachse für die Blüte auf (ca. 10-30 cm Höhe). Nach dem Verblühen senkt sie sich wieder und kriecht weiter.

Gundermann ist manchmal behaart, manchmal nicht oder nur in Teilen. Besonders typisch ist die quadratische Sprossachse, die der Gundermann mit all seinen krautigen Verwandten in der Familie der Lippenblütler (Lamiaceae) teilt. Zu Letzteren zählen einige der kräftigsten Heilpflanzen überhaupt, darunter Minze, Salbei, Melisse u.v.m.

Dunkle, von beiden Seiten leicht purpurne Blätter mit runder, leicht herz- oder nierenförmiger Form und auffälliger Kerbung (Blattdurchmesser ca. 0,5-4 cm) verlaufen kreuzgegenständig und in Blattpaaren auf der Sprossachse. Typisch Lippenblütler, hat Gundermann eine markante zygomorphe Blüte mit einer kleinen Oberlippe und einer längeren Oberlippe. Auf ihr finden sich kleine Pünktchen-Muster, auch in violett. Spannend erscheint die Tatsache, dass die Blüten nicht an der Spitze des Triebs stehen, sondern über diesen komplett verteilt liegen.

Verwechsungssgefahr? ...ist immer eine subjektive Frage. Mögliche theoretische Kandidaten für eine Verwechslung sind der Kriechende Günsel (Ajuga reptans) und ggf. im Winter, wenn nur einzelne Blätter sichtbar sind: Scharbockskraut (Ranunculus ficaria) und Knoblauchrauke (Alliaria petiolata). Scharbockskraut ist aufgrund des Inhaltsstoffs Protoanemonin leicht gifitg und hat einen scharfen, bitteren Geschmack.

Kulinarik & Heilpflanze


Ein weiteres gutes Erkennungszeichen des Gundermanns ist der aromatische, würzige, etwas "schwere" Geruch und intensive Geschmack.


Kulinarisch ist Gundermann eine intensive Würzpflanze und eignet sich sehr gut für herzhafte Suppen (z.B. mit Kartoffeln oder in der sogenannten Gründonnerstagsuppe) und Saucen. Aber auch für die Verarbeitung zu Konfekt ist er geeignet. Hervorragend schmeckt er z.B. in Schokolade getaucht.


Getrockneter Gundermann lässt sich als Tee genießen. Seine heilsamen Qualitäten kann er dabei voll ausspielen. Als vielseitig einsetzbare Heilpflanze enthält er neben ätherischen Ölen, Flavonoide, Saponine, Gerbstoffe und Bitterstoffe, um nur einige der heilwirksamen Stoffe zu nennen. Wissenschaftlich nachgewiesen sind die anti-oxidative, entzündungshemmende und schleimlösende Wirkung. Weitere Heilwirkungen werden wissenschaftlich erforscht.


Bei der Zubereitung als Tee sollte beachtet werden, dass ätherische Öle schwer wasserlöslich/hydrophob und sehr flüchtig sind. Genau wie bei Salbeitee, empfiehlt es sich daher, den Tee länger ziehen zu lassen und abzudecken. Wer experimentierfreudig ist, kann Gundermann auch mal in heißer Milch/Pflanzenmilch (mit möglichst hohem Fettgehalt) ziehen lassen. Da ätherische Öle gut fettlöslich sind, verbinden sich die ätherischen Öle dort besser. Sowieso ist die Zubereitung von Heilpflanzen in heißer Ziegen- oder Kuhmilch eine der ur-ältesten Anwendungsweisen.


Auch mittelalterliche und frühneuzeitliche Quellen berichten uns von dem volksmedizinischen Einsatz des Gundermanns:


Hildegard von Bingen (1098-1179) berichtet von der Anwendung bei Erschöpfungszuständen, Brustschmerzen, Atemwegserkrankungen sowie Ohrentzündungen.


Leonhart Fuchs (1501-1566), einer der "Väter der Botanik", verweist in seinem Werk New Kreütterbůch von 1543 auf die Verwendung von Gundelreb bei Hautausschlag, Mundfäule, Gelbsucht und Ischiasschmerzzen hin.


John Gerard (1545-1612), ein bekannter englischer Botaniker, empfahl Gundermann bei Tinnitus, Nieren- und Verdauungsbeschwerden.


Porträt Leonhart Fuchs von Heinrich Füllmaurer (1541)

Kurios erscheint eine Anmerkung in "Faszinierende Pflanzengallen" von Heiko Bellmann, Margot und Roland Spohn (2018), wonach die kugeligen, ca. 1,5 cm großen Gallen der Gundermann-Gallwespe (Liposthenes glechoma) "einem Bericht aus dem 18 Jahrhundert zufolge (...) in Frankreich gelegentlich gegessen" wurden. "Sie sollen einen angenehmen Geschmack gehabt haben" (S.173).



Wie so häufig bei Wildpflanzen, ist die Wirkung von Gundermann auf den menschlichen Organismus nicht besonders gut erforscht. Medizinisch nachweisbar ist die entzündungshemmende Wirkung, auch bei Atemwegserkrankungen, sowie die Unterstützung bei Verdauungsbeschwerden. Enthaltene Gerb- und Bitterstoffe können bei Letzteren helfen. Aufgrund der unzureichend erforschten Wirkung auf den Menschen wird Schwangeren sowie Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren von der Einnahme abgeraten (wie bei vielen Wildpflanzen und pflanzlichen Präparaten). Es ist sicherlich eine Frage der Dosis: Minimale Würzmengen im Kräutersalat werden theoretisch weniger problematisch sein, als die Einnahme als Tee.


Hinweis: Wie immer ist es natürlich angezeigt, ernsthafte Erkrankungen schulmedizinisch abklären und behandeln zu lassen. In ärztlicher Rücksprache können Arzneipflanzen die Behandlung und Genesung jedoch häufig unterstützen.


Während Gundermann für uns Menschen essbar ist, gilt er für manche Tiere als giftig, z.B. für Pferde. Es gibt Berichte, dass Wildschweine und auch englische Rötelmäuse ihn fressen. Dass manche Pflanzen für Menschen essbar sind und für Tiere giftig (und umgekehrt!) ist nichts Ungewöhnliches. Ein bekanntes Beispiel: Schokolade/Kakao bzw. das enthaltende Theobromin ist giftig für Hunde und Katzen, während es auf uns die bekannte "Schokolade-macht-glücklich-Wirkung" hat.



Räuchern


Zum Verräuchern kann das ganze Kraut verwendet werden. Die aromatische Wirkung des erdigen, würzigen Dufts ist dabei sehr belebend, inspirierend und stärkt körperlich wie seelisch. Man kann die getrockneten Pflanzenteile gut mit Beifuß, Kiefernharz oder auch Minze in der Räucherschale kombinieren. Gundermann-Rauch passt und hilft gut, wenn es einen Neubeginn und frische kreative Kraft braucht.



Bier


In der deutschen Bierkultur gilt es heute als Sakrileg gemäß dem Deutschen Reinheitsgebot von 1516, Bier mit etwas anderem als Wasser, Malz, Gerste und Hopfen herzustellen. Das war nicht immer so!


Erst im Hochmittelalter (Mitte 11. - Mitte 13. Jahrhundert) wurde Hopfen von Mönchen zum Bierbrauen verwendet. Vielleicht aufgrund seiner leicht sedierenden Wirkung. Bis dahin und spätestens bis zum Beginn der frühen Neuzeit, waren aber andere Wildpflanzen mit von der Partie. Diese konnten aphrodisierende, aufputschende, psycho-aktive oder eben heilmedizinische Wirkung wie der Gundermann haben.


"Was mir bei deinem Streifzug total hängen geblieben ist, war die Sache mit dem Gundermann und dem Bier" (Teilnehmer eines Wildpflanzen-Streifzugs 2022).

Gundermann war lange Zeit eine der Hauptzutaten im Bier!

Wie beim Hopfen, sorgten pflanzeneigenen Bitterstoffe für die Haltbarmachung des Bieres. Im Englischen hat sich diese Verwendung im Trivialnamen gill-over-the-ground oder ale hoof erhalten. Gill kommt vom altfranzösischen guiller bzw. guillage, was Bierfermentation meint. Ale bezeichnet ein obergäriges, ursprünglich ungehopftes Bier. In der Bierbrau-Szene finden sich mittlerweile immer mehr Hobby-Brauer:innen und Klein-Brauereien, die Gundermann statt Hopfen einsetzen.



Zaubersprüche, Mythologie und Sagen


Rund um den Gundermann erzählte man sich früher lauter Geschichten, Legenden und Mythen.


Johannes Praetorius (1630-1680) war ein Leipziger Universalgelehrter und freischaffender Autor, der in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges hineingeboren wurde. Berühmtheit erlangte er für seine umfangreiche Sammlung von Sagen über Rübezahl, den Berggeist aus dem Siebengebirge.


Side-Fact: Eigentlich hieß Johannes Praetorius Hans Schultze. Aber den Moden der Zeit folgend, gaben sich damals viele Akademiker:innen gerne einen lateinischen oder griechischen Namen. "Praetorius" war dabei als Name sehr beliebt und oft gewählt.

Johannes Praetorius, Stich: Johann Baptist Paravicinus

In einem seiner Werke, dem Satyrus etymologicus von 1672, berichtet er:

„Auf Walpurgis.Abend muss man Ener.Kuchen machen und essen / drinnen Gundermann mit eingebacken ist / so ist man sicher fur den Hexen. (...) Item, wenn man Gundermann auf Walpurgis.Abend samlet / und hernach mitten in der Nacht einen Kranz drauß machet / und solchen den folgenden Tag auf den Kopf sezet / so kan man alsdenn die Hexen kennen (…).“ (Johannes Praetorius, Satyrus etymologicus, 1672, S. 488)

Praetorius gibt hier nicht weniger als zwei Gundermann-Zauber für die Walpurgisnacht (30. April / 01. Mai) wieder, die zur Abwehr von Hexerei und dem Erkennen von Hexen dienen sollten. Auch Kobolde und Geister waren für Johannes Praetorius durchaus real.


Rund fünfzig Jahre später, 1718-22, veröffentlicht der aufklärerische Apotheker Johann Georg Schmidt (1660-1722) sein Werk "Die gestriegelte Rockenphilosophie (...)", eine frauenfeindliche, polemische Abrechnung mit dem Aberglauben, und lässt sich auf zwei langen Seiten über den Gundermann und seine oben beschriebene magische Anwendung aus (hier nur ein Auszug):

"O ihr Thoren! der Satan und seine Werckzeuge / die ihr Hexen nennet / werden sich um euren elenden Gundermann-Krantz wenig hudeln /wenn sie euch bezaubern wollen. (...) Damit ihr aber überwiesen werden möget / daß die Zauberer auf euern Gundermann nichts geben / so versuchts einmahl / und bittet ein Weib / das ihr in Verdacht habt / als wär sie eine Hexe / zu euch zu Gaste / und setzt ihr einen guten Eyerkuchen vor / worein gehackter Gundermann gebacken ist / so werdet ihr sehen / daß sie getrost essen / und für dem Gundermann sich nicht scheuen wird." (Johann Georg Schmidt, Die gestriegelte Rockenphilosophie (...) 6. Hundert, 1722, S. 362f)

Noch einmal rund zweihundert Jahre später, Mitte des 19. Jahrhunderts, kursierte ein Büchlein voller Zaubersprüche, das wohl fälschlicherweise den Namen von – dem besonders in Köln bekannten - Albertus Magnus (1200-1280) trägt. In "Albertus Magnus bewährte und approbirte sympathetische und natürliche egyptische Geheimnisse für Menschen und Vieh." berichtet der falsche "Albertus Magnus":

„Wenn einer Kuh der Euter behext ist. Nimm Gundelreben, flechte Kränzlein, milk jedem Strich hinen durch den Fuß dreimal auf die Gundelrebenkränzlein, hernach gieb sie der Kuh zu fressen, und sprich folgende Worte: Kuh, hier gib ich dir die Gundelreben, dass du mir die Milch wollst geben.“ (Albertus Magnus bewährte und approbirte sympathetische und natürliche egyptische Geheimnisse für Menschen und Vieh., 19. Jahrhundert, S. 16)

In Irland gibt es ein typisches keltisches Märchen, in dem Athair-Luss, Gundermann, eine zentrale Rolle spielt. Die Protagonistin, ein Mädchen, fällt in einen Brunnen (es handelt sich dabei immer um das Portal zur Anderswelt) und gerät dort ins Reich der Elfen. Diese denken nicht daran, sie gehen zu lassen und feiern stattdessen lieber ein großes Fest. Durch die Hilfe eines Elfen erhält sie jedoch ein Stück Gundermann und den Rat, nicht vom Wein und dem Essen zu nehmen, da sie sonst für immer gefangen sei. Ihr gelingt die Flucht durch Aithair-Luss, der sie auch weiterhin vor den Elfen schützt.


Die ganze Geschichte gibt es auf meinen Streifzügen ;-)

Wir nennen ihn in der Familie übrigens Gundermännchen, weil er uns so klein und aufrecht dastehend an einen Zwerg oder ein Heinzelmännchen erinnert.


Bis bald im Wald!

Till von Waldgeist Wildnis

März 2023

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