Seit meiner Kindheit liebe ich Karten.
Mein Lieblingsbuch als Kind war der Diercke Weltatlas meine Bruders. Ich konnte mir stundenlang die bunten Karten aus fernen Ländern ansehen. Egal ob die unfassbaren Weiten der Sahara, des Amazonas oder des borealen Nordens zu sehen waren, egal ob es asiatische Megacities, riesige Industrieanlagen oder nepalesische Bergdörfer waren, ich saugte alle Informationen, Eindrücke und Bilder in mir auf.
Dabei sind Karten schon eine merkwürdige Sache. Als virtuelle, zweidimensionale Abbilder der echten, sinnlichen, körperlichen und dreidimensionalen Welt, sind sie wahrhaftig menschliche Werkzeuge. Karten dienen eigentlich immer einem Zweck. Die Informationen, die sie abbilden, sind immer selektiv. Höhenlinien, Berge, Wälder, Straßennamen, Restaurants, Bahnhöfe und Friseursalons zählen dabei noch zu den harmlosesten Merkmalen oder Points of Interest. Redakteur:innen wie vom Katapult Magazin zeigen uns, was sich alles Abgefahrenes geographisch darstellen lässt.
Ich wage die Vermutung, dass es generell wenig gibt, das man nicht irgendwie auf einer Karte darstellen kann. Und ich schätze, das hat einen guten Grund. Denn Karten haben den Anspruch, Informationen der "echten" Welt virtuell darzustellen. Und in dieser Welt hat alles einen Körper, eine physisches Manifestation in irgendeiner Form, ein Sein. Karten können uns einen Überblick verschaffen. Sie können uns Verbindungen, Netzwerke und Struktur zeigen, wo sie uns sonst ohne Weiteres entgehen.
Seit meiner Kindheit in den 90ern hat sich nicht nur der Diercke Weltatlas verändert. Manche Gletscher sind vollständig geschmolzen, viele Regenwälder sind deutlich geschrumpft, neue Straßen und Gebäude sind hinzugekommen (und alte verschwunden), alter Boden wurde versiegelt, manch eine Landschaft wurde renaturiert. Die Geschwindigkeit wie sich unsere Erde verändert ist atemraubend. Der Klimawandel verändert alles...
Höchste Zeit also, sich mit der Erde zu verbünden, die eigene Beziehung mit der natürlichen Welt zu pflegen und tief in die Verbindung mit den wilden Wurzeln des eigenen Wohnortes zu gehen.
Karten - und hier sind insbesondere alte Karten gemeint - können uns dabei helfen:
Wo liest du diese Zeilen gerade? Wie sah es an diesem Ort vor 100 Jahren aus, wie sah es vor 200 Jahren aus? Gab es das Haus bereits, in dem du vielleicht sitzt, das Feld oder den Wald in deiner Nähe? Gab es die Straße bereits? Wie alt ist das älteste Gebäude in deinem Ort?
[*um alte Wege geht es in einem der nächsten Blogbeiträge]
Alte Karten können hier wie ein verlängertes Teleskop sein mit dem man in die Vergangenheit blickt. Wie ein Weltraumteleskop, das im Weltraum schwebt und "näher" an den Sternen dran ist, wenn man so will.
Hier im Rheinland, wo ich wohne, kommt man dabei nicht an Jean Joseph Tranchot (1752-1815) vorbei, einem französischen Geographen. Als das Rheinland 1801 unter Napoleon zu einem Teil Frankreichs wurde, nahm Tranchot seine Arbeit in der "topographischen Abteilung zur Kartierung der vier vereinigten linksrheinischen Départements" des Kriegsministeriums auf. Tranchot, im Range eines Colonel, kartierte in den folgenden Jahren bis 1814 das gesamte Rheinland, Teile der Eifel und des Bergischen Landes und schuf so die erste moderne Karte der Region. Die Messinstrumente Tranchots entsprachen dabei dem State of the Art. Seine Methoden entwickelten er und sein Team ständig weiter. Zwar war der primäre Zweck der großräumigen Kartierung militärischer Art - das ganze Unterfangen war, wie gesagt, im Kriegsministerium angesiedelt - ,Tranchots Karte war jedoch auch für den zivilen Bereich äußerst nützlich.
1815 starb Jean Joseph Tranchot. Auch die französische Zeit des Rheinlands endete. Nach dem Wiener Kongress im selben Jahr wurde das Rheinland ein Teil Preussens und die neuen Gebiete im Westen mussten unter neuer Herrschaft erneut kartografiert werden. 1842 begannen die Arbeiten zur Preussischen Uraufnahme, der zweiten großen Kartierung der Provinz Rheinland unter Leitung von Karl von Müffling (1775-1851).
Beide Karten, die sogenannte Tranchotkarte und die Preussische Uraufnahme können uns eine Idee davon vermitteln, wie es im Rheinland und Teilen der Eifel sowie des Bergischen Landes früher einmal ausgesehen hat. Falls du in der Gegend wohnst, kannst du herausfinden wie vor deiner Haustür ausgesehen hat.
Und das geht ganz einfach:
TIM-online ist eine Internet-Karten-Anwendung des Landes Nordrhein-Westfalen.
Wer mal mit Kataster-, Vermessungsplänen oder Geobasisdaten zu tun hatte, kennt es bestimmt.
Was viele nicht wissen, ist, dass sich mit TIM-online auch die Tranchot-Karte sowie die Preussische Uraufnahme (und weitere, jüngere Karten) darstellen lassen.
Anleitung:
Links in die "Kartenwahl" öffnen, dann "Topografische Karten" und den Unterordner "Historische Karten" wählen. Jetzt ganz nach unten scrollen und das Häkchen bei "Tranchot/Preussische Uraufnahme" setzen.
Tipp: Wenn die Karte nicht direkt dargestellt wird, muss vielleicht noch bei "Aktive Kartenwerke" die Ebenen-Reihenfolge geändert werden oder die moderne Karte deaktiviert werden.
Und voìla, man sieht eine hochauflösende, georeferenzierte Darstellung der Tranchotkarte.
Durch hin- und herschalten, also den Vergleich mit der modernen Karte, kann man jetzt kartografisch rund 200 Jahre zurückreisen!
Viel Spaß! :-)
Till von Waldgeist Wildnis
März 2023
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